2. Entwicklung
Nach seiner Entdeckung wurde es ruhig um den Piezoeffekt, man kannte ihn
als Phänomen bestimmter Stoffe, die meist hart waren und Kristalleigenschaften
hatten, eine praktische Bedeutung hatte er noch nicht erlangt. Doch die
Kristallwissenschaft suchte weiter, berühmte Wissenschaftler beschäftigten
sich mit den theoretischen Grundlagen, z.B. Lord Kelvin . Die Forscher vermuteten, dass
Kristalle aus einer regelmäßigen Anordnung von Atomen - einem so genannten Gitter - aufgebaut
sind. Der unmittelbare Beweis dafür gelang jedoch erst 1912. Dieser wurde mit Hilfe von
Röntgenlicht erbracht, die Wellenlänge von Röntgenlicht liegt im Bereich atomarer Dimensionen.
Da Licht Wellencharakter besitzt, kann es unter bestimmten Vorraussetzungen
Beugungserscheinungen zeigen (Beugungserscheinung treten beispielsweise auch bei Wasserwellen
auf). Eine Regel besagt, dass nennenswerte Beugungserscheinungen nur dann auftreten, wenn
beugende Struktur und Wellenlänge der Strahlung ähnlich groß sind. Wenn man nun von der
Atomgitterhypothese ausgeht, müssten Kristalle also Beugungserscheinungen bei Röntgenstrahlung
hervorrufen! Dass dies tatsächlich der Fall ist, entdeckten 1912 zwei Studenten des Göttinger
Physikprofessors Max von Laue. Sie bestrahlten auf Anregung ihres Professors einen
Kupfersulfatkristall mit Röntgenstrahlung. Die Röntgenstrahlung traf nach dem Kristalldurchgang
auf einem Film auf, auf diesem erthielten die Studenten eine Serie von Punktmustern, die als Beweis für
die Existenz von Atomgittern gelten konnten. Ein Jahr später hatte der Brite Lawrence Bragg
einen mathematischen Zusammenhang zwischen den Punktmustern und der Anordnung der Atome im
Kristall hergestellt, so dass man fortan den atomaren Aufbau eines Kristalls anhand seines
Beugungsmusters ermitteln konnte. Damit war die Kristallstrukturanalyse geboren und mit ihr
eines der wichtigsten Instrumente der Festkörperphysik. Phänomene wie die Piezoelektrizität
konnten jetzt atomar gedeutet werden.
1910 veröffentlichte Woldemar Voigt sein "Lehrbuch der Kristallphysik",
das den damaligen Wissensstand über Piezoelektrizität aufzeigte,
bis zu diesem Zeitpunktpunkt hatte man noch keine Lösung gefunden,
die Piezoelektrischen Konstanten aus dem Kristallgitter abzuleiten.
Die technische Anwendung wurde durch den 1. Weltkrieg beschleunigt, sie
setzte mit der Erfindung piezoelektrischer Resonatoren, also mit dem reziproken
Piezoeffekt ein. Auslöser für diese Erfindung war die Untersuchung
von Nachrichtenübermittlung unter Wasser mit Ultraschall, es wurde
eine Methode entwickelt, die es ermöglichte die Wassertiefe zu bestimmen
oder auch Objekte im Wasser zu orten. Den Kern bildete hierbei ein Piezoelektrischer
Wandler, er bestand aus dünnen Quarzkristallen, die zwischen zwei
Stahlplättchen befestigt wurden, man erreichte damit eine Resonanzfrequenz
von 50 kHz. Dieser Wandler war in der Lage Ultraschall zu senden sowie
zu empfangen. Dieses so genannte SONAR (Sound Navigation and Ranging)
wurde 1918 von Paul Langévin erfunden und war später Bestandteil
vieler französischer Luxusliner, mit dem zweiten Weltkrieg gewann
es natürlich wieder an militärischer Bedeutung.
Als erste zivile Anwendung des Effekts wurden Piezoresonatoren als Frequenzbestimmende
Elemente in Rundfunksendern eingesetzt, man erreichte damit, dass man
in der immer dichter werdenden Rundfunksenderlandschaft die Sendefrequenzen
stabil halten konnte. Der Stein war ins rollen gebracht, eine Reihe weiterer
Erfindungen wurden veröffentlicht, beispielsweise entwickelte man
Quarzresonatoren um die Frequenz in Oszillatoren zu stabilisieren, mit
Hilfe des Piezoeffekts erreichte man eine 10 mal höhere Stabilität.
Während des zweiten Weltkriegs wurde ein Verfahren entwickelt, mit
dem man piezoelektrische Keramiken, im Gegensatz zu den piezoelektrischen
Einkristallen sehr leicht herstellen konnte. Diese Keramiken waren nicht
ursprünglich Piezoelektrisch, sie mussten nach den Sintern in ein
elektrisches Hochspannungsfeld gebracht werden, damit sich ihre Domänen
ausrichteten konnten. Dieses Verfahren trug wohl maßgeblich dazu
bei, dass der Piezoeffekt eine solch große industrielle Verbreitung
erfuhr. [2] Nach dem Krieg suchte man fieberhaft nach einer Verbesserung
der Messtechnik, neue Bestrebungen in der Luft und Raumfahrttechnik und
auch in der Kerntechnik, machten dies erforderlich. Auch hier hat sich
der Piezoeffekt als sehr nützlich erwiesen, vor allem in der Schwingungsmessung,
kein anderer Wandlereffekt ermöglicht einen solch großen Dynamikbereich.
Auch in der Theorie kam man zu neuen Erkenntnissen, für das Verständnis
und die Anwendung wesentliche Veröffentlichungen erschienen. 1954
fand Max Born eine generelle Lösung, die piezoelektrischen Konstanten
aus dem Kristallgitter abzuleiten, man publizierte Schriften in denen
die Koeffizienten der verschiedenen Materialien aufgeführt wurden.
Später beschäftigten sich die Forscher vor allem mit den neu
gemixten Piezokeramiken man war bestrebt die Optimale Piezokeramik zu
schaffen, mit möglichst vielen optimalen Eigenschaften zum Beispiel
gute zeitliche Stabilität, minimaler Temperaturkoeffizient, piezoelektrische
Härte gegen Depolarisation, hoher Curiepunkt, temperaturstabile Frequenzeigenschaften
oder Herstellung aus einfachen preiswerten Rohstoffen. Vor allem die Japaner
etablierten sich zu jener Zeit auf diesem Gebiet, durch eine gute Zusammenarbeit
zwischen den einzelnen Firmen gelang es ihnen viele neue Anwendungen für
den Piezoeffekt zu schaffen, wie z.B. den Rauchmelder mit Piezokeramik.
Durch den kommerziellen Erfolg der Japaner wurde auch in anderen Ländern
die Industrie auf die Piezokeramiken aufmerksam: Die Bemühungen,
neue Piezokeramische Produkte herzustellen wurden intensiviert, viele
neue Firmen entstanden.
An der Technischen Universität Dresden forschte man noch einige Jahre
an den Piezoelektrischen Problemen. 1971 wurde die letzte Arbeit zur Dissertation
eingereicht und mit "magna cum laude" abgeschlossen. sie handelt
von quasistatischer Kraftwandlung mittels Piezokeramik und beschreibt
Probleme im tieffrequenten Bereich. Ergebnis war, dass man bei der Kraftmessung
mit vielen Fehlern zu kämpfen hat und sie nur unter sehr eingeschränkten
Bedingungen einsetzen kann. Etwa um das Jahr 1980 gab es einige Veröffentlichungen
zum reziproken Piezoeffekt. Doch es wurde ruhig um das Fachgebiet der
Piezoelektronik, es ist wissenschaftlich ausgeschöpft, es birgt kein
Neuland mehr.
Johannes Wagner, langjähriger Mitarbeiter einer Mess- und Frequenztechnikfirma
schreibt in einem Beitrag über Piezoelektrizität: "Der
als Kuriosum bekannt gewordene Effekt wurde Allgemeingut. [...]. Die Folge
ist: Es sind keine spektakulären Gewinne mehr zu erzielen. Die Technologie
zählt nicht mehr zur Hochtechnologie. Immer mehr Hersteller bieten
an. Die Anwendung wird breiter. Sie reicht von Mikroantrieb über
Gasanzünder, Ultraschallerreger, Beschleunigungsaufnehmer, Telefon-Mikrofonen
bis zu penetranten Kassen- und PC-Piepsern. Die neuen Hersteller haben
nicht den immensen Forschungsaufwand. In vielen Fällen kennen sie
verborgene Wenn und Aber der Materie nicht. Die neunzeilige-neunspaltige
Matrix mit allen Koeffizienten, dabei glücklicherweise einer großen
Anzahl von Nullen, ist ihnen unbekannt. Sie gehen unbefangen mit dem Material
um, häufig mit Erfolg und zum Schaden der in Forschung investierenden
Unternehmen. [...]. So hat sich die Piezoelektrizität, vor Jahren
noch eine Hightech-Geheimwissenschaft, zu einem überhaupt nicht spektakulären,
verbreiteten Effekt entwickelt, nicht mehr geeignet, den High-Tech- High-
Ausbildung-High-Lohnland-Charakter des Wirtschaftsstandortes Deutschland
zu sichern."
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